Vor zehn Jahren verstarb mit Ruedi Bucher (1926–2009) ein Dorfbewohner, der in seiner Person die Berufe des Flach- und Kunstmalers vereinigte und allmählich zum Dorforiginal wurde, das in den Dorfwirtschaften die Nähe der Gäste suchte. Abgesehen von den Kulissen für Vereinsaufführungen und von den Fasnachtsdekorationen in Wirtshäusern ist Ruedi Bucher ein Glücksfall für Bazenheid, hinterliess er mit einem Teil seiner Werke – wohl kaum beabsichtigt – kulturhistorische Perlen. Allein von Bazenheid nehmen nahezu 30 Bilder Bezug auf die massiven Veränderungen in der Siedlungsstruktur. Die meisten Dorfansichten sind verschwunden oder im Verschwinden begriffen. Unter dem Titel «Bühne für Kunst und Kleinkunst» ist sein künstleriches Schaffen gewürdigt (Siehe S. 91 f).
Im Folgenden sei aufgezeigt, wie das Schicksal aus Ruedi Bucher ein Dorforiginal formte, welches einen erheblichen Teil seines Lebens in inner- und ausserörtlichen Dorfwirtschaften verbrachte.
Bis zu seinem Wegzug von Bazenheid nach 56 Jahren aus gesundheitlichen Gründen ins Pflegeheim Fürstenau Wil 2005, wo er vier Jahre darauf gestorben war, gab es kaum jemanden, der Ruedi Bucher nicht kannte. Immer wieder setzte er als sonder-barer Kauz einen buntfarbigen Akzent, wenn er in -Damenkleidern, versehen mit Damenaccessoirs, agierte: am Bahnhof, auf der Post, in einer Wirtschaft, an Unterhaltungsabenden, an Dorffesten etc.. Dann haute er nicht selten mit aller Wucht auf den Putz, was ihm unheimlich gut tat. Manchmal kurvte er auf einem Damenvelo einher und winkte frivol in der Gegend herum. Da er ein fleissiger Jahrmarktbesucher war, kannten die Leute Rudolfine – wie sie ihn gerne nannten – bis ins Rheintal hinaus. Merkte er, dass jemand die «Echtheit» seiner angeblich goldenen Damenohrringe bezweifelte, indem er lediglich wortlos einen kritischen Blick darauf warf, reagierte er besonders sensibel und gab mit rollenden Augen, als wollten diese wie Kristallkugeln aus seinem Kopfe schiessen, ungehalten zu verstehen: «Da isch denn im Fall echts Gold.
Da isch kei Mörschwiler Gold!» Warum aber sein Erscheinen in Damenkleidern? Seine Frau Marie, mit der er seit 1953 glücklich verheiratet war, fand im dritten Ehejahr eines Tages Damenwäsche in Ruedis Nachttischchen und erfuhr von ihm, dass er sich stärker als Frau, denn als Mann fühlte. Dennoch wurden die Buchers Eltern von 4 gesunden Kindern, in deren Gegenwart der Vater wiederholt im Frauenkostüm aufkreuzte. Sogar als Waffen- und Marathonläufer lebte er ein Stück weit seine weibliche Seite aus, wenn er Damenwäsche und einen BH unter der Uniform bzw. der Sportbekleidung trug. Bevor das älteste Kind volljährig war, brach die Ehe 1974 auseinander. Seinen Traum vom Frausein lebte er weit darüber hinaus umso intensiver in Erfüllung jener uralten Redensart, nämlich: Wenn ein altes Haus brennt, dann hilft kein Löschen. In der Tat, sogar im Pflegeheim, als er kaum noch gehen konnte, mussten ihn die Pflegenden unter nicht ganz leichten Bedingungen mit Damenunter- und Oberwäsche bekleiden. Dann legte er Wert darauf, dass sie ihn entweder nur mit Unter- oder Oberbekleidung im Bett liegend oder am Bettrand sitzend ablichteten.
Vor diesem Hintergrund schlitterte Kunstmaler Ruedi Bucher mit zunehmendem Alter in die Rolle eines Dorforiginals, in der er sich sichtlich wohl fühlte und manchem Dorfbewohner bei Begegnungen ein Schmunzeln entlockte. Allein an seinem äusseren Erscheinungsbild gemessen wäre es also zu billig, ihn als komischen Kauz, gar als Spinner zu betrachten, der irgendwie aus dem Rahmen der Gesellschaft herausgefallen ist. Seine jugendliche Tristesse als Verdingbub und noch intensiver sein Aufgewühltsein gegen seine natürliche Geschlechtlichkeit hielten ihn in jungen Jahren gefangen, wie es der deutschsprachige Schriftsteller Rainer Maria Rilke (1875–1926) in seiner Metapher «Der Panther» lyrisch darstellte:
«Der Panther»
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein grosser Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Die Raubkatze im Zoo ist hinter Gitterstäben ihrer Freiheit beraubt, von aussen betrachtet verfügt sie über ihre Kraft und ihren starken Willen, ist aber wie gelähmt, zum Schauobjekt entwertet und ihres Wesens kaum mehr mächtig. Ruedi Bucher liess sich seiner Natur, seines Wesens nicht berauben und brach, wie wir erfahren haben, mit aller Kraft aus, in bunten Damenkleidern – letzten Endes auch ein Gestaltungsakt der ganz persönlichen Art – und Malen und Zeichnen wurden für ihn zu einem empfindsamen Befreiungsakt von einer gefühllosen, den Einzelnen ungeachtet seiner Individualität auch im Erwachsenenalter vereinnahmenden Gesellschaft, was ihm Gefühlsruhe schenkte und sein Leben vor allem im Kreis der Wirtshaushöckler lebenswerter machte, so wie es Hermann Hesse (1877–1962) in seinem «Demian», der Jugendgeschichte des Emil Sinclair, seinen Titelhelden treffend ausführen lässt: «Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte. Warum war das so schwer?»
Ruedi Bucher alias «Rudolfine», Maler, Kunstmaler und Dorforiginal, offenbarte in zahlreichen Bildern mit kulturhistorischer Bedeutung auch für das Dorf Bazenheid seine unverkampfte Liebe und Wertschätzung zu seiner engeren Heimat. Je nach persönlicher Verfassung bewegte er sich oftmals mit tänzerischer Leichtigkeit zu den dörflichen Stammtischen, vermittelte dort hin und wieder abstruse Botschaften und warf nicht selten erstaunlich präzise gesellschaftskritische Voten in die Runde, mit denen er den Nagel vollends auf den Kopf traf.
Ruedi-Bucher Seite 132 - 137 (PDF)
Ruedi-Bucher Seite 342 - 343 (PDF)